Wohnen oder Gesundheit?

Experten sprechen von katastrophalen Gesundheitsausgaben in Deutschland. Zwar steht das Gesundheitssystem per se gut da, allerdings haben die steigenden Ausgaben im Bereich Wohnen dramatische Folgen für die Gesundheit. Den Menschen fehlt das Geld für Zuzahlungen beim Zahnarzt, für Medikamente oder den Besuch beim Physiotherapeuten. Es stellt sich die Frage: Dach überm Kopf oder lieber gesund sein?

Miese Mieten

Ich wohne in einer Stadt in der die Mieten so hoch sind – ich darf gar nicht darüber nachdenken. Wenn ich an meine monatliche Mietzahlung denke, wird mir ganz flau. Niemals hatte ich mir vorstellen können, so viel Geld für Miete auszugeben. Trauriger Weise ist das flaue Gefühl sogar ein Privileg: denn immerhin kann ich meine Miete bezahlen.

Im Sommer zogen 50 000 Menschen unter dem #ausspekuliert durch Münchens Straßen. Das Thema: unbezahlbare Mieten. Im Fernsehen wurde über ein Haus bei mir um die Ecke berichtet. Der neue Hausbesitzer sanierte und setzte anschließend die Miete um 200 % (!) hoch. Die Leute mussten ausziehen. Das passierte in meiner unmittelbaren Nachbarschaft: Da wird mir nicht nur flau – da wir mir kotzübel!

Mietausgaben zählen zu den Grundbedürfnissen

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ijmaki/ bixabay.com

Die hohen Mietpreise sind inzwischen international angekommen. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) Europa hat den Begriff „Existenzminimum“ erweitert. Und zwar zählen zu den Grundbedürfnissen nicht mehr nur die Ausgaben für Essen und Trinken, sondern nun auch die Ausgaben für ein Dach über dem Kopf.

Zu dieser Erweiterung kam es im Rahmen eines WHO-Reports. Die ursprüngliche Fragestellung lautete: können sich Menschen in den jeweiligen Ländern eine Zuzahlung im Gesundheitswesen leisten?

25 (überwiegend europäische) Länder wurden näher betrachtet und um diese Frage zu beantworten, mussten verschiedene Bezugsgrößen definiert werden. In diesem Fall wurde das Existenzminimum anhand der tatsächlich getätigten Konsumausgaben für Grundbedürfnisse wie Essen, Miete, Heiz-, Wasser- und Stromkosten ermittelt.

 

Zwei Professoren der TU Berlin (Prof. Dr. Martin Siegel/ Fachgebiet Empirische Gesundheitsökonomie und Prof. Dr. Reinhard Busse/ Fachgebiet Management des Gesundheitswesens) werteten für Deutschland die Zahlen aus den Jahren 2003, 2008 und 2013 aus. Die Jahreszahlen waren fix, da für die Analyse Einkommens- und Verbrauchsstichproben des Statistischen Bundesamtes zugrunde lagen. (Diese Stichprobe wird alle 5 Jahre in circa 40 000 Haushalten durchführt).

Kein Geld für die medizinische Versorgung

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jarmoluk/ pixabay.com

Laut dieser Analyse sind 1,6 Millionen Menschen im Jahr 2013 in finanzielle Schwierigkeiten geraten, weil sie medizinische Leistungen bezahlen mussten. Im Jahr 2008 waren es sogar 2,2 Millionen Bürger. Ein interessanter Nebenaspekt:  2004 wurde die Praxisgebühr eingeführt. Vielleicht erinnerst du dich noch an die 10 Euro Zuzahlung beim Arzt? Im Jahr 2013 wurde die Praxisgebühr wieder abgeschafft. Das könnte die niedrigere Anzahl an Betroffenen in 2013 erklären.

Wohnen im Wartezimmer?

Ein Existenzminimum zu vergleichen, ist schwer. Denn es werden die unterschiedlichsten Definitionen geliefert, z.B. das soziokulturelle Existenzminimum (beinhaltet Teilhabe am gesellschaftlichen Leben), das steuerrechtliche Existenzminimum (beinhaltet Freistellungen in der Steuer) oder das schuldrechtliche Existenzminimum (definiert, welcher Betrag nicht gepfändet werden darf).

Aber so als Anhaltspunkt: Der Deutsche Bundestag hat laut Mitteilung vom 9.11. 2016 das sächliche Existenzminimum (steuerbefreites Existenzminimum) für einen Erwachsenen für das Jahr 2018 auf 9 000 Euro festgelegt. Kinder werden mit 4 788 Euro jährlich benannt.

 

All diesen theoretischen Berechnungen steht die Tatsache entgegen, dass ein Zahnarztbesuch oder die Inanspruchnahme von Physiotherapie nicht von einem Kontostand abhängig sein sollte. Zum einen, weil in Deutschland ein entwickeltes Gesundheitssystem vorhanden ist. Und zum anderen, weil dieser Ansatz kurzfristig ist und verschlimmbessert.

Wenn bei einer akuten Erkrankung keine medizinische Leistung in Anspruch genommen werden kann, dann verlagert sich das Problem in die Zukunft und hat sich dann auch meist vergrößert. Beispiele gibt es viele: Ein Infekt in der Mundhöhle wird zur Blutvergiftung. Und statt auf dem Zahnarztstuhl liegt der Betroffene dann tage- oder wochenlang im Krankenhaus, schlimmstenfalls mit einem Organversagen. Und auch jenseits des Worst Case ist die rechtzeitige Gesundheitsversorgung (wirtschaftlich) lohnend:  ein rehabilitatives Training lindert zum Beispiel nicht nur akute Symptome sondern kann auch präventiv greifen, und weiterführende Erkrankungen verhindern.

Es sollte niemals die Frage im Raum stehen: bezahle ich meine Miete oder nehme ich eine medizinische Leistung in Anspruch. Denn ein kranker Mensch zuhause ist genauso wenig eine Option, wie ein Patient, der im Wartezimmer wohnt!

 

 

Der WHO Bericht ist hier abrufbar

 

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